Bayern beharrt auf Sitzenbleiben
Bündnis Gemeinschaftsschule Bayern kritisiert Haltung der Regierungsparteien zu Wissenschaft und Forschung
Der Bildungsausschuss des Bayerischen Landtags hat heute mit der Regierungsmehrheit eine Petition der grünen Landtagsfraktion abgelehnt. Diese hatte gefordert, Sitzenbleiben in Bayern abzuschaffen.
Für das Bündnis Gemeinschaftsschule Bayern ist dies zwar keine Überraschung, dennoch sorgt das Ergebnis zum wiederholten Mal für Kopfschütteln darüber, wie leichtfertig CSU und Freie Wähler wissenschaftlicher Evidenz ausweichen.
Bündnissprecher Dr. Gerald Klenk: „Dass Sitzenbleiben nichts bringt, ist in vielen Untersuchungen bestätigt. Wir fordern, dass sich die Bildungspolitik in Bayern endlich an der Wissenschaft orientiert. In einem aufgeklärten Staat sollte dies selbstverständlich sein. Darüber hinaus zeigen etwa Waldorf- und Montessorischulen seit Jahrzehnten, dass es auch ohne Sitzenbleiben geht und dass die Leistungen der Absolvent*innen nicht hinter denen staatlicher Schulen zurückbleiben.“
Christine Lindner, ebenfalls Bündnissprecherin, ergänzt: „Eine stichhaltige Begründung für diese Wissenschaftsverweigerung steht nach wie vor aus. Dies verfestigt den Eindruck, die Staatsregierung habe gar kein Interesse an einem besseren Fortkommen insbesondere seiner benachteiligten Schülerschaft.“
Bemerkenswert findet Lindner auch die Äußerung des Abgeordneten Dünkel, der seine Ablehnung der Petition damit begründete, dass es in Bayern genügend individuelle Förderung gebe. „Schüler*innen und Lehrkräfte sehen dies allerdings ganz anders und rufen seit Jahrzehnten nach besseren Möglichkeiten. Zur Wahrheit gehört, dass derzeit nicht einmal die strukturell vorgesehene Individualförderung durchgeführt werden kann.“
Dass die pädagogische Evidenz in Bayern entweder nicht verstanden oder gezielt ignoriert wird, das zeigen die folgenden Zitate:
PISA-Kommission:
„In Ländern, in denen mehr Schüler*innen Klassenstufen wiederholen, sind die Gesamtergebnisse tendenziell schlechter.“ [OECD. (2010). PISA 2009 Results: Executive Summary, S. 15]
Hattiestudie:
„Was das Sitzenbleiben betrifft, so ist die einzig interessante Frage, warum es das angesichts der überwältigenden Faktenlage überhaupt noch gibt!“
„Das Wiederholen einer Jahrgangsstufe beruht auf der Überzeugung, dass Kinder durch das Sitzenbleiben mehr lernen. Dies ist einer der wenigen Bereiche im Bildungswesen, in dem es schwierig ist, Studien zu finden, die nicht ausschließlich null oder negative Auswirkungen zeigen.“
„Deutlich wurde, dass die Drohung mit Sitzenbleiben für Schüler keine motivierende Kraft darstellt.“
„Es wurde festgestellt, dass sich das Sitzenbleiben in allen Fächern negativ auf die soziale und emotionale Anpassung, das Verhalten, das Selbstkonzept und die Einstellung zur Schule auswirkt.“
„Diese negativen Auswirkungen sind zum Teil darauf zurückzuführen, dass die Schulen und Lehrkräfte den sitzenbleibenden Schülern beim ersten Mal in der Klasse keine optimalen Maßnahmen anbieten. Daher werden die Schüler in Unterrichtsformen gehalten, die ihnen schon im vorherigen Jahr keinen Nutzen gebracht haben.“
[Hattie, John (2023). Visible learning. The sequel; a synthesis of over 2,100 meta-analyses relating to achievement (First edition). Abingdon, Oxon: Routledge. S. 207f (eigene Übersetzung)]
Klaus Klemm hat die finanzielle Seite durchgerechnet:
„Eine Abkehr von dem teuren aber unwirksamen Instrument der Klassenwiederholung ist notwendig, um die damit verbundenen jährlichen Zusatzausgaben von einer Milliarde Euro in wirksame Maßnahmen zur individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler investieren zu können.“
[Klemm, Klaus (2009): Klassenwiederholungen – teuer und unwirksam. Eine Studie zu den Ausgaben für Klassenwiederholungen in Deutschland. Bertelsmann Stiftung. Gütersloh, S. 5f]
Der Aktionsrat Bildung ist eine Einrichtung der Bayerischen Wirtschaft (vbw):
„Zur Förderung leistungsschwacher Schüler gehört es, ihr weiteres Abdriften nach unten wirkungsvoll insbesondere dadurch zu unterbinden, dass Klassenwiederholungen vermieden werden und individuelle Förderung gewährleistet wird.“
[Blossfeld, Hans-Peter (2007): Bildungsgerechtigkeit. 1. Aufl. Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwiss (Aktionsrat Bildung: Jahresgutachten, 2007), S. 146.]