Am 2. Mai wird an Bayerns Grundschulen mit dem Verteilen entsprechender Zeugnisse wieder zur großen Kindersortierung geblasen: dem Übertritt auf weiterführende Schulen. Eine Studie der Uni Würzburg hat bereits vor über 10 Jahren gezeigt, dass fast 50 % der Kinder in Bayern dabei unter massivem Stress leiden – bei jedem 6. Kind ist das Kindeswohl ernsthaft gefährdet [1]. Hinzu kommen Frustration und Einbußen beim Selbstvertrauen. Darunter leidet wiederum die Freude am Lernen[2].
Das bayerische Kultusministerium schiebt die Verantwortung den Eltern zu. Sie seien es, die den Druck ausübten. Doch wie sollen Eltern dem ausweichen können, wenn das Schulsystem dieses Nadelöhr auf dem Weg ins spätere Leben unausweichlich macht?
Erneut kritisiert das Bündnis Gemeinschaftsschule Bayern – in Übereinstimmung mit dem Bayerischen Elternverband und dem BLLV – den Übertritt nach der vierten Klasse: „Es ist tragisch, dass viel zu viele Kinder hier ausgemustert werden, ehe sie ihr Potenzial zeigen können“, sagt Bündnissprecher Dr. Gerald Klenk. „Die frühe Trennung der Kinder im Alter von nur 10 Jahren erzeugt viele Bildungsverlierer*innen! Dabei sind Kinder aus bildungsfernen Schichten und/oder mit Migrationshintergrund besonders betroffen – ein Skandal! Denn diese Erkenntnis ist gut belegt und alles andere als neu“[3].
Nun also entscheiden die Zehntel und Hundertstel der Übertrittsnote über die weitere Bildungs- und nicht selten Lebenslaufbahn. Staatsregierung und Kultusministerium begründen das Festhalten daran mit Sorge vor dem weiteren Abfall der Schülerleistungen. Außerdem seien Leistungen nur über Noten vergleichbar. Tatsächlich aber erfolgt die Leistungsbewertung an Schulen kaum nach objektiven Maßstäben, was ebenfalls gut erforscht ist[4]. „Man arbeitet also gegen das eigene Leistungsverständnis. Aber leider will Ministerpräsident Söder über Leistung und Leistungsmessung nichts dazulernen“, bedauert Klenk. „Daher hört er auch nicht gerne, dass seine Kultusministerin, im Gegensatz zu ihm, gerne darüber diskutieren möchte.“
Das Bündnis Gemeinschaftsschule fordert ein Ende der menschenverachtenden Selektion nach der 4. Klasse. „Um gut lernen zu können, dürfen Kinder in einem ihrer wichtigsten Lebensbereiche nicht abgewertet und entmutigt werden. Wir sind als demokratische Gesellschaft in menschlicher, wie in wirtschaftlicher Hinsicht darauf angewiesen, dass jede und jeder darin unterstützt wird, ein fähiges, motiviertes und tatkräftiges Mitglied zu werden. Der Übertritt gehört wenigstens für die, die das wollen, durch längeres gemeinsames Lernen ersetzt. Wir fordern daher, auch in Bayern endlich die Gemeinschaftsschule als zusätzliche Schulart zuzulassen!“
[1] Reinders, Heinz; Ehmann, Tamara; Post, Isabell; Niemack, Juliane (2015): Stressfaktoren bei Eltern und Schülern am Übergang zur Sekundarstufe. Abschlussbericht über die Elternbefragung in Hessen und Bayern 2014. Hg. v. Lehrstuhl Empirische Bildungsforschung der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Würzburg (Schriftenreihe Empirische Bildungsforschung, 33).
[2] Bach, Maximilian und Mira Fischer (2020), Understanding the Response to High-Stakes Incentives in Primary Education, ZEW Discussion Paper Nr. 20-066, Mannheim.
[3] Allmendinger, Jutta (2012): Diskriminierung im Bildungssstem: Erkan war mindestens ebenbürtig. Interview mit Jan Friedmann. Spiegel online. Online verfügbar unter http://www.spiegel.de/schulspiegel/ungerechtigkeit-in-der-schule-allmendinger-kritisiert-bildungssystem-a-857156.html, zuletzt geprüft am 27.04.2025. 60.
Solga, Heike (2008): Wie das deutsche Schulsystem Bildungsungleichheiten verursacht. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZBrief Bildung). Online verfügbar unter www.wzb.eu/wzbriefbildung.
Wößmann, Ludger (2013): Zaghaft in die richtige Richtung: Argumente gegen die ideologisierte Schulstrukturdebatte. In: Schulmagazin 5-10 (2), S. 51–54.
[4] Blossfeld, Hans-Peter (2007): Bildungsgerechtigkeit. 1. Aufl. Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwiss (Aktionsrat Bildung: Jahres-gutachten, 2007).
Brügelmann, Hans (2015): Vermessene Schulen – standardisierte Schüler. Zu Risiken und Nebenwirkungen von PISA, Hattie, VerA und Co. 1. Aufl. Weinheim, Basel.
Maaz, Kai; Baeriswyl, Franz; Trautwein, Ulrich (2011): Herkunft zensiert? Leistungsdiagnostik und soziale Ungleichheiten in der Schule. Hg. v. Vodafone Stiftung Deutschland.